Öffentlichkeitsbeteiligung – reden wir mal drüber! Vorlesung im Rahmen des Projekts PART-COM

Im Rahmen des Projekts PART-COM wurde eine Vorlesung für Studierende des Master-Studiengangs Bauingenieurwesen mit Vertiefung im Verkehrswesen an der HKA durchgeführt. Ziel dieser Lehrveranstaltung war es, angehenden Ingenieur:innen die Bedeutung der Öffentlichkeitsbeteiligung in Infrastrukturprojekten näherzubringen und sie für die Herausforderungen und Chancen partizipativer Planungsprozesse zu sensibilisieren. 

Die Vorlesung war in zwei Teile gegliedert: einen theoretischen und einen praktischen Abschnitt. 

Theorie-Teil 

Im theoretischen Teil der Vorlesung wurden die Grundlagen der Öffentlichkeitsbeteiligung in Infrastrukturprojekten vermittelt und zentrale Herausforderungen aufgezeigt. 

Zunächst stand die formelle Beteiligung im Fokus, insbesondere die gesetzlichen Vorgaben nach §3 BauGB, die die Einbindung der Öffentlichkeit in den Planungsprozess regeln. Dabei wurde auch die Problematik dieser formellen Beteiligung diskutiert – insbesondere das sogenannte Baggerparadoxon, das beschreibt, dass das öffentliche Interesse oft erst dann besonders hoch ist, wenn bereits alle wesentlichen Entscheidungen getroffen wurden und kaum noch Einflussnahme möglich ist. 

Danach wurde die im Projekt entwickelte Abwärtsspirale der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgestellt (siehe HELP] die verdeutlicht, wie mangelnde oder fehlerhafte Einbindung der Öffentlichkeit zu Konflikten führen kann. Ergänzend dazu wurden verschiedene Beteiligungslogiken nach Magdalena Otto betrachtet, die unterschiedliche Motive und Ziele hinter Beteiligungsprozessen aufzeigen: 

  • Beteiligung als Übertragung sozialstaatlicher Aufgaben 

  • Beteiligung als Verbesserung der Außenwirkung 

  • Beteiligung als Ermöglichung sozialer Teilhabe 

  • Beteiligung als Befriedung 

Um diese Beteiligungslogiken greifbarer zu machen, wurden sie mit bestehenden Beteiligungsprojekten in Karlsruhe verglichen, beispielsweise der Baumpatenschaft, bei der Bürger:innen aktiv in die Pflege und Erhaltung des Stadtgrüns eingebunden werden. 

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Theorie-Teils war das Stufenmodell der Partizipation nach Wright, das verschiedene Beteiligungsstufen unterscheidet. Die Studierenden wurden dazu angeleitet, die im Stufenmodell beschriebenen Formen der Beteiligung im Verlauf eines Infrastrukturprojekts einzuordnen und zu bewerten. 

Zum Abschluss wurden die im Rahmen des Projektes PART-COM herausgearbeitete Impact- und Erfolgskriterien für eine gelungene Öffentlichkeitsbeteiligung vorgestellt und anhand konkreter Beispiele erläutert. Diese Kriterien sind: 

  • Zielgruppenspezifische Ansprache und aufsuchende Formate 
  • Transparente Feedback- und Kommunikationskultur 
  • Nutzung von Visualisierungen zur besseren Verständlichkeit 
     

  • Multi-Channel-Kommunikation zur Erreichung unterschiedlicher Gruppen 

  • Offene und konstruktive Diskussionskultur 

  • Zeitpunkt der Öffentlichkeitsbeteiligung 

  • Digitale Beteiligungslösungen und -plattformen 

  • Einbindung junger Menschen und barrierefreie Angebote 

  • Übergreifende Dialoge zwischen verschiedenen Akteursgruppen 

  • Niederschwellige Informations- und Beteiligungsformate 

Mit diesen theoretischen Grundlagen wurde die Basis für den anschließenden Praxis-Teil gelegt, in dem die Studierenden das Gelernte anhand konkreter Fallstudien und interaktiver Übungen anwenden konnten. 

Praxis-Teil 

Im Praxis-Teil der Vorlesung standen verschiedene Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung im Mittelpunkt. Als zentrales Thema wurde die Verkehrsanbindung rund um die Hochschule Karlsruhe gewählt – ein Bereich, der alle Anwesenden direkt betrifft und damit eine hohe Relevanz für die Studierenden hat. 

Der praktische Teil gliederte sich in drei interaktive Übungen: 

Spiel 1: Umfragen durchführen und auswerten 
Die Studierenden führten Umfragen mit einem vorgegebenen Umfragebogen durch und wurden anschließend mit der Herausforderung konfrontiert, die erhaltenen Antworten korrekt zu analysieren und wiederzugeben. Dabei wurde überprüft, ob die Interviewer:innen die Aussagen der Befragten richtig interpretierten oder ob es zu Missverständnissen zwischen tatsächlicher Aussage und deren Analyse kam. Diese Übung verdeutlichte, wie schwierig es sein kann, Meinungen aus der Bevölkerung korrekt zu erfassen und in den Planungsprozess zu integrieren. 

Spiel 2: Übergreifende Diskussion zu Klimaanpassungen in Städten 
Die Studierenden arbeiteten mit einer Stadtkarte von Karlsruhe und verschiedenen erklärenden Plakaten zu Themen wie Wasserflächen, Flächenentsiegelung sowie Dach- und Fassadenbegrünung. Sie konnten Vorschläge einreichen, an welchen Orten diese Maßnahmen sinnvoll ein- bzw. umgesetzt werden könnten. Anschließend wurde diskutiert, wie es sich anfühlt, Ideen projektunabhängig und ohne konkrete Rahmenbedingungen einzubringen.  

Spiel 3: Infoveranstaltung kombiniert mit der Sechs-Hut-Methode 

In dieser Übung wurden den Studierenden unterschiedliche Rollen zugewiesen, die verschiedene Perspektiven und Interessen repräsentierten. Ziel war es, sich in andere Denkweisen hineinzuversetzen und Argumentationen nachzuvollziehen, die nicht der eigenen Meinung entsprachen. Anschließend wurde eine simulierte Informationsveranstaltung durchgeführt, in der eine bereits weit fortgeschrittene Planung vorgestellt wurde. Die Analyse konzentrierte sich auf zwei zentrale Fragen: 

  • Wie hat es sich angefühlt, eine andere Position vertreten zu müssen als die eigene? 

  • Wie nimmt man eine Veranstaltung wahr, in der die Öffentlichkeit erst spät in den Planungsprozess eingebunden wird? 

Fazit und Resonanz der Studierenden 

Die Vorlesung wurde von den Studierenden als sehr interessant und relevant empfunden. Viele betonten, dass eine solche Veranstaltung bereits früher im Studium angeboten werden sollte, um frühzeitig ein Bewusstsein für Öffentlichkeitsbeteiligung zu schaffen. Besonders positiv wurde aufgenommen, dass die theoretischen Konzepte direkt praktisch erprobt werden konnten. 

Als direkte Folge der Vorlesung entstand eine neue Initiative: Gemeinsam mit der Stadt Karlsruhe wurde eine Öffentlichkeitsbeteiligung in der Orientierungsphase (siehe O-Phase) für Studierende durchgeführt, um die Bedeutung und das Verständnis für Öffentlichkeitsbeteiligung frühzeitig zu verdeutlichen.